Brief an meine Frau

Vertrauen.

Es gab keinen einzigen Moment, bei dem ich gezweifelt habe.

Kein doofer Gedanke, wenn Du mit Deinen Mädels in den Urlaub gefahren bist.

Kein Misstrauen, wenn Du einen alten Freund besuchst hast.

Kein Zweifel, wenn Du Dinge von mir wolltest, die nur für Dich sein sollten und ich nicht gewöhnt war.

Weil ich in Deinen Augen sehen konnte, dass Du immer die Wahrheit sagtest.

Weil Du überhaupt nicht lügen konntest und wenn, dann war das sofort ein gemeinsamer Lacher.

 

Du gabst mir erstmalig in meinem Leben Freiheit.

Die Freiheit, meine ganz eigenen, persönlichen Interessen endlich einmal ohne Reue genießen zu können.

So konnte ich ganz einfach in meinen Oldtimer steigen und mich freuen. 
 „Hab´ Spaß, Schatz!“ hast Du mir immer hinterhergerufen.

Ich konnte einen Hund haben und Du hast Dir auch deinen ersten Hund angeschafft.

Ich konnte segeln und Du hast es perfekt auch gelernt und warst immer gerne und stolz dabei.

Du kamst häufig in die Firma und präsentiertest Dich als tolle Frau des Chefs. Damit hast Du mir ein gutes Image gegeben.

Du hast mir jeden Abend Essen gemacht, uns einen Drink zubereitet, Wohlfühlklamotten bereitgelegt und wir haben gequatscht, getanzt, laut Musik gehört oder sind spazieren gegangen.

Du hast mir bei meinen großen Sorgen zugehört und mir immer das Gefühl gegeben, dass Du an meiner Seite bleibst, auch wenn Firma, Segelyacht und großes Haus weg sind. Du warst meine Frau, meine Partnerin und wir sind eins.

Du warst immer vollkommen offen und ehrlich – leider bis auf die Dinge, die mich belasten könnten. Du wolltest mich immer schützen. Das war lieb, aber…

Du hast mir sanft und geduldig das Kochen beigebracht.

Du hast mir gezeigt, dass man mit Gesprächen alle Verschiedenheiten und Schlechte lösen kann, dass man dadurch immer noch ein Stück enger zusammenrückt.

Bei Dir durfte ich Weinen, als sich meine Kinder grund- und erklärungslos von mir abwendeten.

Und als ich mein Schiff verkaufen musste.

 

Das alles war das vollkommene Gegenteil von meinem Leben vor Dir.

 

Du hattest immer Angst, dass Du mich einengst und mich meines Lebens beraubst. Das Gegenteil ist die Wahrheit.

Ich habe die Wohnung sauber gehalten, Wäsche gewaschen, Essen gekocht und eingekauft.

Ich habe Dich umsorgt, bekümmert, Dich gepflegt.

Du warst der vollständige Inhalt meines Lebens.

Durch Dich fühlte ich mich als Mann, wohl und mein Leben hatte einen Sinn.

Und ja, Du warst auch manchmal eine ziemliche Zicke, ungeduldig, streitbar … ein Vollweib eben. Am Ende haben wir darüber gelacht und uns versöhnt.

Und Du warst wahrlich eine Frau, wie sie sich ein Mann nur wünschen kann.

 

Jetzt bist Du tot.

 

Mein Leben ist leer, sinnlos und es gibt keinen Boden mehr.

 

Noch immer tue ich alles so, wie es Dir recht wäre, wie Du es mir beigebracht hattest, wie ich Dir beigebracht hatte, wie es harmonisch und für uns beide vollkommen war.

Für Dich.

 

Bei jedem Essen kochen denke ich an Deine „Kochschule“.

Beim Wäschemachen an die Art, wie Du TShirts zusammengelegt haben wolltest.

Beim Saubermachen daran, dass es für meine todkranke Königin wichtig und gut war.

Ich küsse zig Male am Tag unseren Ehering, den ich noch immer trage und immer tragen werde.

 

Jetzt bist Du nicht mehr da. Aber ich brauche es so.

 

Jetzt habe ich meine kleine Tochter wieder. Sie ruft mich fast jeden Tag an. Sie ist das einzige, was ich an Familie habe. Sie hat meine Seele gerettet. Sie hat meine Gesundheit gerettet, weil ich wieder gekämpft habe.

Ich habe genau den Hund, den ich immer haben wollte. Er tut mir gut und gibt mir Struktur.

Ich habe Freunde, die mir Halt geben und sich um mich bemühen.

 

Und trotzdem denke ich immer an Dich.

Jeden Tag.

Jede Stunde.

 

Es wird besser.

Langsam.

Aber Du wirst immer das Beste sein, was mir in meinem Leben passiert ist – außer meinen Kindern natürlich.

 

Du hast mir beigebracht, alleine ordentlich und gesund zu leben.

Es ist schon irre: Du gabst mir alles von Dir und ich kann dadurch alleine leben. Verrückt.

 

Ich hatte mir während der intensiven Pflege-Jahre oftmals gewünscht, wieder selbstbestimmt, frei und losgelöst zu leben.

Jetzt bin ich alles.

 

Und wünsche mir nichts mehr als Dich mit all den Aufwänden und Einschränkungen zurück.

 

Denn durch Dich habe ich gelebt.

 

Ich liebe Dich.